Langtörn in drei Akten
Um es gleich vorweg zu sagen, ich halte 300 sm nicht für einen besonders langen Törn. Aber es gibt so wenige Cruising-Proas und noch weniger Berichte über Fahrten davon, dass ich einige typische Momentaufnahmen aus dem Törn mit meiner „Mareinoa für durchaus erwähnenswert halte.
Am ersten Tag sah uns die Sonne beim Aufgang bereits weit auf dem Weg von Boltenhagen nach Klint Holm (Dänemark). Bei einem Wind von 3 Bft aus Nordwest und strahlend blauem Himmel kamen wir hinter Gedser in die Landabdeckung von Falster und später Mön. Die Inseln waren flach genug, um den Wind nicht abzudecken aber verhinderten einen hohen Wellengang. Die Geschwindigkeit des Bootes betrug 7-8 Knoten, also in etwa Windgeschwindigkeit. Das Boot konnte die volle Besegelung gut tragen. Es gab sogar noch etwas Luft nach oben für eventuelle Boen. Die waren aber selten, für Ostseeverhältnisse war der Wind ungewöhnlich konstant. Überhaupt waren die Bedingungen nicht weit von paradiesisch entfernt. Bei dem Wind von 3 Bft, der querab und konstant blies, lief das Boot überaus ruhig und wie auf Schienen. Aus dem Moment ist auch das beigefügte Video. Es ist gut zu sehen, dass das Boot auch ohne Steuerung seinen Kurs hält.
Diese Verhältnisse hielten drei Stunden an, dann flaute der Wind ab, wie vorhergesagt. Motoren war angesagt. Als nach der Flaute der Wind wieder aus der alten Richtung und Stärke einsetzte, was nicht vorhergesagt war, konnte das Glück nicht größer sein. Klint Holm war dann am Abend erreicht, 75 sm in 14 Std., davon 1 Std. motort.
Die zweite Momentaufnahme ist gleichzeitig ein Paradebeispiel für die Aussagekraft von Wetterberichten. Für den Törn von Gislövsläge (Schweden) nach Vitte (Hiddensee), war das folgende Szenario vorhergesagt: Zunächst NW 2-3, im Laufe des Vormittags langsam abflauend und über SW auf SO drehend, dabei ab 14 Uhr zunehmend. Das sollte eigentlich reichen, um rechtzeitig Hiddensee zu erreichen und den dann herrschenden Gegenwind zu vermeiden. Richtig war der angekündigte NW, der aber schneller abflaute und auch schneller drehte als vorhergesagt. Dafür frischte er aber schneller auf. Dadurch blies mir nördlich von Hiddensee ein SW von 4 in die Zähne. Das Boot war damit in einer Lage, die es überhaupt nicht mag. Wegen der Motorfahrt war die Fahrtrichtung vorgegeben und es entstand eine „Wind von der falschen Seite“-Situation. Der Schwimmer wurde wie bei einer atlantische Proa belastet und dabei fast ständig unter Wasser gedrückt. Die Verbände ächtzten und im Rigg zeigte sich erhebliches Spiel. In diesem Moment hätte ich gern einen Verfechter der atlantischen Proa an Bord gehabt. Sicher ist „Mareinoa“ nicht für diesen Fall geplant und ausgelegt. Trotzdem war das kein Vergleich zu dem Verhalten wenn das Boot in seiner geplanten Weise belastet ist. Die Genialität der Proa liegt allgemein darin, dass der kleine Schwimmer aus dem Wasser gehoben wird.
In der aktuellen Situation schüttelte sich das Boot derart, dass ich ernsthaft Sorge hatte, Hiddensee zu erreichen. Offensichtlich waren die 6 kn, mit denen der 15 PS Außenborder das Boot – von der Motorleistung her übrigens problemlos – vorantrieb, zu viel. Wenn ich die Fahrt verlangsamte, drohte der Wind und der Wellengang immer stärker bzw. höher zu werden. Es half aber nichts, ich musste die Geschwindigkeit auf 4 kn reduzieren. Dabei mußte ich mich darauf verlassen, trotzdem rechtzeitig den Schutz von Hiddensee zu erreichen, bevor der Wind noch stärker wurde. Tatsächlich haben wir den Wettlauf gewonnen. Mit jedem Meter, den wir dichter an die Insel kamen, wurden die Wellen niedriger und die Geschwindigkeit konnte erhöht werden. Zwischen Hiddensee und Rügen angekommen war dann der mit 5 Bft. genau von vorn blasende Wind kein Problem mehr, da die Wellen in diesem geschützten Gewässer keine große Höhe mehr erreichten. Die 6 kn Marschgeschwindigkeit von „Mareinoa“ waren hier problemlos machbar.
Bei der Etappe von Warnemünde in den Heimathafen Boltenhagen war für den letzten Teil NO 4, in Böen 6, vorhergesagt. Als wir um das Kap bei Kühlungsborn bogen frischte der Wind tatsächlich auf 4 Bft auf. Die Wellenhöhe nahm schnell zu und kam in dieser Phase direkt von achtern. Es war ein wunderschönes Wiegen in den langgezogenen Wellen, die das Boot voran schoben. So stelle ich mir Pazificwellen vor. Das einzige, was dem absoluten Glücksgefühl etwas Abbruch tat, war die Geschwindigkeit. Die lag mit 9 kn erstaunlich niedrig. Aus der Erfahrung sollten bei diesen Bedingungen durchaus 12-13 kn drin sein. Ob die nun 11 Jahre alten Segel vielleicht doch etwas zu sehr in die Jahre gekommen sind?
Leider hielten diese Bedingungen nicht lange an. Als wir die Insel Poel erreichten, war aus „in Böen 6“ mittlerweile fast nur noch 6 geworden. Außerdem mischten sich die Wellen aus der Einfahrt nach Wismar dazu. Verstärkt wurde dieses Kabbelwasser durch die niedrigen Wassertiefen von teilweise weniger als 3 m. Im Endergebnis ergab das eine See, die das Boot so heftig durchschüttelte, wie ich es von dem Boot eigentlich nicht kenne. Von dem sonst ruhigen Dahingleiten, das mich bei dem Boot sonst so begeistert und das ich bei jeder Gelegenheit lobe, war in diesem Moment wenig zu spüren. Teilweise musste ich mich sogar festhalten. Das wurde erst besser als wir die Wohlenberger Wiek erreichten und abfallen konnten. Auf dem letzten Schlag spielte die Proa trotz Windstärke 6 und entsprechender Wellen wieder ihre Vorzüge aus und strebte ohne Krängung und ohne viel Bewegung dem Heimathafen entgegen.